Die innovative Harzbahn (Rübelandbahn)
Meilensteine in der Entwicklung einer beispielgebenden Eisenbahn
Die Zahnradbahn 1886
Die Harzbahn vom Abzweig Blankenburger Hütte bis Tanne wurde von der Halberstadt-Blankenburger-Eisenbahn (H.B.E.) in einer Gesamtlänge von 27,2 Kilometern abschnittsweise in Betrieb genommen:
- 01.11.1885 bis Rübeland
- 01.05.1986 bis Elbingerrode
- 01.06.1886 bis Rothehütte
- 15.10.1886 bis Tanne
Für das Projekt zeichnete der Betriebsdirektor der H.B.E., Herr Albert Schneider, verantwortlich. Wegen der starken Steigungen wurde die Bahn mit elf Zahn- stangen-Abteilungen des Systems Abt über insgesamt 7,5 Kilometer ausge- rüstet. Der Schweizer Ingenieur Carl Roman Abt realisierte hier auf Anregung von Albert Schneider erstmals seine Erfindung der dreiteiligen Zahnstange mit federnder Einfahrt. Damit war die Harzbahn Vorreiter bei der Antriebs- technik von Gebirgseisenbahnen.
Die Züge durften maximal 16 Achsen haben, und die Lokomotiven mußten aus Sicherheitsgründen stets talseitig eingestellt werden. Die Geschwindigkeit der Züge betrug auf den Adhäsionsstrecken 25 km/h und in den Zahnstangenab-teilungen 7,5 km/h.
Die Saugluftbremse 1908
Die äusserst positive Entwicklung des Güterverkehrs bewirkte kurz nach der Jahrhundertwende intensive Bemühungen um die Erhöhung der Zuggeschwin-digkeiten und der Zuglasten auf der Harzbahn. Dabei war das Problem zunächst weniger die Maschinenkraft, um den Zug bergwärts zu ziehen, als viel mehr die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der Bremsen, um die Last sicher zu Tal zu bringen. Schließlich wurde, nach einer Studienreise von H.B.E. Direktor Werner Glanz, versuchsweise die selbsttätige Güterzugbremse nach dem System Hardy eingeführt. In der Folge konnte das Wagenzuggewicht im Schiebebetrieb von 135 Tonnen auf 300 Tonnen erhöht werden. Ab dem Juli 1908 waren alle Fahrzeuge der H.B.E. mit der Hardy'schen Saugluftbremse ausgerüstet, verkehrten aber nur mit einer amtlichen Ausnahmegenehmigung. Nach weiteren Demonstrations-fahrten konnte die H.B.E. als erste Regelspurbahn in Mitteleuropa am 13. April 1910 offizell Güterzüge mit durchgehender Luftbremsung fahren.
Der Adhäsionsbetrieb 1920
Ab 1915 wurde deutlich, daß der Lokomotivpark erneuert werden mußte. Der neue Direktor Otto Steinhoff erteilt am 22. Februar 1917 der Forma Borsig in Berlin-Tegel den Auftrag, zwei Heißdampftenderlokomotiven der Achsfolge 1'E1' zu bauen. Mit diesen Maschinen plante die H.B.E., den aufwendigen Zahn-stangenbetrieb durch reinen Reibungsbetrieb ersetzen zu können. Allerdings kamen Zweifel auf, ob die Lok einen Zug bei der Abwärtsfahrt zum Stillstand bringen könne. Daher verfiel man auf den Gedanken, je Lok zwei Bremszahn-räder zu installieren. Borsig lieferte die beiden Loks 1920 an die H.B.E. aus. Bei allen Probefahrten erwiesen sich die Bremszahnräder als überflüssig und wurde ausgebaut. Bei zwei weiteren 1921 gelieferten Loks diesen Typs wurde ab Werk bereits auf die Zahnräder verzichtet. Die vier Maschinen erhielten die Namen Mammut, Wiesent, Büffel und Elch. Mit der "Tierklasse" war der H.B.E. erneut eine Pioniertat gelungen. Sogar die Reichbahn war aufmerksam ge-worden, so daß es zu Versuchsfahrten auf anderen Zahnradbahnen mit der Lok "Elch" kam. Alle Fahrten waren ein großer Erfolg, den die H.B.E. gerne mit dem Hersteller teilte. So schrieb Direktor Steinhoff an Borsig: "Die Konstruktion an und für sich stellt zweifellos eine hervorragende Leistung der Lokomotivfabrik Borsig dar. Wir möchten nicht verfehlen, dies in aller Form ausdrücklich anzuerkennen".
Aus der wuchtigen Tierklasse wurde die preußische T20 (Baureihe 95.0 der Deutschen Reichsbahn) entwickelt. Die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft schaffte 45 Exemplare zwischen 1922 und 1924 an. Bereits 1943 waren zwei T20 auf der Harzbahn leihweise eingesetzt. Nach der Verstaatlichung der H.B.E. am 01.01. 1950 gelangte die T20 als Standardlok nach Blankenburg. Elf Loks waren hier ständig stationiert, darunter auch die heutige Museumslok 95 027.
Der Triebwagen 1927
Der Personenverkehr mit Dampflok-bespannten Wagenzügen wurde nach dem ersten Weltkrieg zunehmend unwirtschaftlich. Daher suchte auch die Harzbahn nach Möglichkeiten, diesen Betriebszweig kostengünstiger zu gestalten. In den Jahren 1924 /1925 wurden daher Untersuchungen zu der Frage angestellt, ob Dieseltriebwagen die Lösung für das Problem sein könnten. Im Jahre 1927 wurde dann von der Waggonfabrik Uerdingen ein Triebwagen geliefert und bei der H.B.E. als T1 bezeichnet. Dieser wies zahlreiche konstruktive Neuerungen auf: Leicht-metallbauweise mit selbsttragendem Wagenkasten, Deichselgestell für die beiden Einzelachsen für guten Kurvenlauf, Innenbackenbremse und schwingungsarme Aufhängung von Motor und Getriebe. Geliefert wurde der Triebwagen mit einen Büssing-Benzinmotor, der aber kurze Zeit später nach einem Brand durch einen MAN-Dieselmotor ersetzt wurde. Zug- und Stoßvorrichtungen fehlten, der Wagen verkehrte also stets als Solofahrzeug. Der T1 bewährte sich auf der Steilstrecke ausgezeichnet. Über viele Jahrzehnte bestritt er wochentags den Personenverkehr auf der Harzbahn. Mit dem T1, wegen seines alufarbenen Anstrichs auch "Silbervogel" genannt, hatte die H.B.E. eine überzeugende Antwort auf die wirtschaftlichen und technischen Herausforderungen der Zeit gefunden.
In den Folgejahren beschaftte die H.B.E. noch drei weitere Triebwagen sehr unterschiedlicher Bauart. Der letztbeschaffte Triebwagen T4 konnte zusammen mit einem Steuerwagen eine Art Wendezug bilden, wodurch sich der Betriebsab-lauf erheblich vereinfachte.
Die Elektrifizierung 1965
Im Jahre 1958 wurde das Chemieprogramm der DDR beschlossen mit dem Ziel. in einem Siebenjahrplan bis 1965 die Produktion in der chemischen Industrie auf 164% zu steigern. Die Chemiebetriebe, darunter der VEB Chemische Werke Buna in Schkopau (Plaste und Elaste aus Schkopau), benötigten nun dingend erheblich größere Kalkmengen aus der Region Rübeland als zuvor. Die Züge verkehrten bereits mit drei Maschinen der Baureihe 95.0 und einem Gewicht von 450 Tonnen. Die Leistungsgrenze der Dampftraktion war erreicht. Eine Elektrifizierung erschien als die einzig richtige Maßnahme, hier entscheidend Abhilfe zu schaffen. Zunächst war geplant, die Bahn mit dem üblichen Einphasenwechselstrom-System (15kV und 16 2/3 Hz) zu elektrifizieren und Altbau-Loks der Baureihen E91, E94 oder E95 einzusetzen.
Allerdings machte die Bahnstromversorgung derart große Probleme. daß be-schlossen wurde, elektrische Energie aus dem Landesnetz zu beziehen, also Einphasen-Wechselstrom mit 25 kV und 50 Hz zu nutzen. Im Jahr 1965 war die Oberleitung fertig montiert. Zudem waren zahlreiche Umbauten an der Strecke vorgenommen worden unter anderem: Bau des Rangierbahnhof Nord in Blankenburg, Umfahrung des Bielsteintunnels, in Blankenburg, Michaelstein und Hüttenrode Verlängerung der nutzbaren Gleislänge auf 450 Meter, Sicherung durch neue Gleisbildstellwerke, Erneuerung des gesamten Oberbaus, Erhöhung der Geschwindigkeit auf 50 km/h. Endbahnhof für alle E-Züge war Königshütte. Der Abschnitt nach Tanne wurde nicht elektrifiziert und endgültig am 01.01.1969 stillgelegt. Der vollständige Abbau erfolgte dann bis zum 24. 06.1974.
E 251
Die Lokomotivfabrik LEW in Henningdorf baute 1961 zwei 50Hz-Versuchsloks. Darauf basierend bestellte die DR schließlich 15 sechsachsige E-Loks als Baureihe 251 speziell für die Rübelandbahn, ohne die Versuchsmaschinen zu übernehmen.
Im Jahr 1972 lieferte LEW Henningdorf nach Algerien 32 Loks für 3000 Volt Gleichstrom, die im mechanischen Teil mit der 251 der DR identisch waren.
E 211
Eine kurze Episode blieb der Einsatz einer vierachsigen Versuchslok mit der Be-zeichnung E 211 001. Die 1967 von LEW Hennigsdorf gefertigte Maschine hatte ein für DDR-Verhältnisse geradezu futuristisches Aussehen mit deutlichen Anklän-gen an französische Vorbilder. Auch technisch war die Lok auf internationalem Niveau. Obwohl mehrfach -in wechselnder Farbgebung- auf der Leipziger Messe präsentiert, erfüllten sich die Vorstellungen nicht, diesen Loktyp im Ausland ver-markten zu können. Ab 1971 kam die Lok in den planmäßigen Einsatz auf der Rübelandbahn. Schließlich wurde sie 1975 im Herstellerwerk abgestellt und 1982 verschrottet.
Der Elektrobetrieb startete am 10.12.1965 nach einigen Anlaufschwierigkeiten und bewährte sich glänzend. Trotz der ungünstigen Bedingungen der DDR-Mangelwirtschaft konnte die Rübelandbahn die in sie gesetzten hohen Er-wartungen erfüllen. Dazu bedurfte es allerdings enormer finanzieller Anstren-gungen und des Zusammenspiels vieler Entscheidungsträger, vor allen aber der Kenntnisse und Erfahrungen der Eisenbahner. Für die erneuerte Harzbahn bürgerte sich nun der Name Rübelandbahn ein.